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Fahrt Nr. 36, 05.03.1995: Eine unglaublich verrückte Geschichte…

Mit dieser Geschichte oute ich mich nun wohl definitiv und erhalte (vorübergehend) den Stempel: Ungeeignet!
Wir schreiben den Samstag, 4. März 1995. Die Wege von Edy und mir haben sich zwischenzeitlich getrennt und ich will morgen Sonntag früh die erste Ballonfahrt mit meinen eigenen Passagieren durchführen. Den Ballon miete ich bei meinem ehemaligen Fahrlehrer Hans Zimmerli. Der HB-BTQ Sparkasse Oftringen ist grösser als der mir bekannte Perry-Ballon und fasst rund 4000 m3 Luft und trägt neben dem Piloten 5 Passagiere. Seit der Fahrschule bin ich nun nicht mehr mit englischen Cameron- Ballons gefahren, sondern mit französischen Raven- Europe Ballons, das ist aber kein Problem und vergleichbar mit dem Fahren von verschiedenen Automarken: Kleine Verschiedenheiten, aber grundsätzlich funktionieren alle gleich.

Trotzdem, ein bisschen nervös bin ich natürlich schon. Dazu kommt, dass ich trotz intensivem Suchen nicht 5 sondern nur drei Passagiere aufbieten kann. Geplant ist ein gemeinsamer Start mit meinem Vater Heinz. Das Wetter soll am Vormittag noch schön sein, aber von Südwesten her zieht ab Mittag eine Schlechtwetterfront herein, dies zumindest sagt die Wetterprognose. Daher verabreden wir uns um 07.00 Uhr. Am späten Samstagabend meldet sich mein Freund und Passagier Peter Vock und meint, dass er noch zwei willige Passagiere gefunden hätte, diese aber am Morgen frühestens um 09.00 Uhr in Olten sein können. Nach ein paar Telefongesprächen ist auch dieses Problem gelöst. Wir treffen uns nun halt (trotz der herannahenden Kaltfront) später und ich bin happy, dass der Korb mit 5 Passagieren nun voll ist!

Am Sonntagmorgen kurz vor 10 Uhr stehen wir auf der Startwiese in Langenthal. Der Wind hat schon zünftig aufgedreht - dies beweisst vor allem auch die Situation, dass sich der Ballon beim Füllen mit kalter Luft (warum soll man Ballone auch anbinden…?!?!) davon macht: Das „Theater“ wird (vorerst) mit einem kräftigen Zug an der Ventilleine beendet. Heinz und ich sind uns einig, dass der Wind für einen Start momentan zu stark ist, sind aber guter Dinge, dass sich die Lage wieder beruhigt. Also, Material aufladen, in der nahegelegenen Beiz einen Kaffee trinken und dann entscheiden wir, dass wir in Balzenwil im Windschatten sicher problemlos starten können. Und siehe da: Kein Bodenwind in Balzenwil…!

Zum zweiten mal laden wir das Material, bei inzwischen bedecktem Himmel, wieder ab und füllen unsere Ballone im Schutz der hohen Bäume problemlos. Heinz startet mit dem 2600 m3 grossen HB-BXC Fischballon kurz vor 12.30 Uhr (man bedenke die ursprünglich geplante Startzeit von 08.00 Uhr…) und entschwindet, angetrieben vom kräftigen Südwestwind schnell davon. Ein paar Minuten später heize auch ich dem 4000er ein und hebe sanft vom Boden ab. Etwas zu sanft, denn nur ein paar Meter höher werde ich vom Wind erfasst und unsanft wieder zu Boden geschlagen. Na also, jetzt aber ein wirkungsvoller Einsatz des Doppelbrenners und auch wir sind in der Luft. Mit schneller Fahrt geht’s ab Richtung Zofingen, Kölliken, Schafisheim, Wildegg, Brugg. Heinz entscheidet sich für eine Landung in den grossen Flächen bei Villigen. Die lange Bremsspur, die ich von oben sehe, beruhigt mich nicht gerade… Da ich etwas mehr südlich über der Aare bin, ist eine Landung in dieser Gegend nicht möglich. Ich nehme mir vor, auf jeden Fall vor Klingnau zu landen, denn es war mir, dass danach nur noch (Schwarz- )Wald kommt bis nach Stuttgart… Entlang der Bahnlinie fahren wir weiter an Siggenthal Station und Beznau vorbei. Ich bin inzwischen ganz tief über dem Wald und der Ballon fährt zwar schnell, aber in idealer Richtung gegen die fast freien Felder westlich von Kleindöttingen. Nach dem Wald passiert wieder, was schon beim Start passiert ist: Der Wind drückt mich im Windschatten richtiggehend zu Boden und trotz Doppelbrennereinsatz schlagen wir eine Materialkiste in einem Schrebergarten kurzerhand zu Kleinholz. Der dahinterliegende Zaunpfahl aus Eisen knickt wie ein Streichholz ein und gibt den Weg frei für uns. Nach diesem harten Einschlag steigt der Ballon (zum Glück) wieder hoch und überquert den Baum dahinter. Ich ziehe nun kräftig an der Ventilleine, denn jetzt will ich endgültig runter. Es rumpelt und wir sind am Boden, aber das ist noch nicht alles: Durch den starken Wind angetrieben zieht es den Ballon über die Felder. Bei einem der unzähligen Schläge lasse ich die Ventilleine los und der Ballon richtet sich wieder auf. Inzwischen ist das vorher noch weit entfernte Mehrfamilienhaus direkt vor uns und leicht gebremst durch eine Thujahecke und einen Sitzplatz mit Cheminee kommt der Korb an der Hauswand zum stillstand. Die Ballonhülle vermag die Südseite des Hauses gänzlich einzupacken. Nun ist plötzlich alles ganz still, nur die Hülle reisst nun mit einem gut hörbaren und nicht endenden kkkkchchchch… von oben bis unten. Wir sind alle unverletzt und können den Korb nun verlassen. Ein Lastband auf der Oberseite der Hülle hat sich im Cheminee auf dem Flachdach des Hauses verfangen und reisst dieses dann um.

Das Fazit der Übung: Sachschaden an Hülle und anderem Material wie Cheminees, Materialkiste, Thujahecke usw. von über Fr. 6'000.-. Gott sei dank hatten wir nur Materialschäden – Niemand von der Besatzung hat einen Schaden erlitten. Schlussendlich war die ganze Fahrt eine Fehlplanung, denn es hätte mehr als genug Anzeichen dafür gegeben, die Fahrt abzusagen… Das erste Mal habe ich gesehen und erlebt, welche Gewalt die riesige Ballonhülle bei Wind entwickeln kann und zudem habe ich einiges gelernt aus diesem Fall! Das wichtigste: Das Wetter richtet sich nie nach mir! Und: lieber am Boden bleiben und denken, wie schön es jetzt da oben wäre, als da oben sein und denken, wäre ich nur da unten… Mein Entschluss stand nach diesem Abenteuer fest: „Aufhören, und zwar sofort…! – Ballonfahren ist zwar toll, aber nicht für mich…!“ Das gute Zureden meiner Ballonkameraden und zwei wunderschöne und vor allem problemlose Fahrten, die ich gemeinsam mit Hans Zimmerli, meinem Fahrlehrer danach machen konnte, haben mich dazu bewogen, weiterhin in die Lüfte aufzusteigen. Es heisst ja: Der Ballonvirus ist unheilbar…!